Teil der Special Reihe TODD HAYNES, AMERICAN FILMMAKER
1977, Farbe: Ben, vor kurzem verwaist und dann auch noch bei einem Blitzschlag ertaubt, läuft aus Gunflint, Minnesota, weg, um in New York nach seinem Vater zu suchen, den er nie kennengelernt hat. 1927, Schwarzweiß: Rose (die gehörlose Millicent Simmonds gibt in der Rolle ihr Schauspieldebüt) setzt sich aus Hoboken, New Jersey, ab über den Hudson, sie hat Sehnsucht nach ihrer Mutter, einer am Broadway gefeierten Schauspielerin.
Die Wege der Kinder, die getrieben sind von der Suche nach Geborgenheit und der Frage nach ihrem Platz auf der Welt, kreuzen sich im American Museum of Natural History vor dem berühmten Diorama der durch den mondbeschienenen Wald laufenden Wölfe (- das wiederum recherchiert wurde in Gunflint, Minnesota). Das heisst, ihre Wege kreuzen sich natürlich nicht, schließlich werden sie mit einem halben Jahrhundert Abstand kreuz und quer durch Manhattan gezogen. Beziehungsweise kreuzen sie sich recht organisch in der Vorstellung der Zuschauer:in, die den beiden kunstvoll ineinander geflochtenen Handlungssträngen, die zudem distinktive, historisch adäquate filmische Stile repräsentieren, ein gemeinsames Ziel entwirft, lange bevor dieses in Sicht kommt.
Haynes‘ Adaption des gleichnamigen, 2011 erschienenen Kinderbuchs von Brian Selznick (der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet) ist ein Film für Kinder, Eltern, Großeltern, dessen Wunderbarlichkeit unter anderem darin besteht, die Spur einer Familie in Zeit und Raum sichtbar zu machen. Wie ein Sternbild am Himmel leuchten die einzelnen Individuen der Sippschaft in der Unendlichkeit und Weite des Alls, das unseren kleinen Planeten umfängt, und nicht immer weiß der eine vom anderen. Doch es dürfte keine:r fehlen, weil mit dem aus der Vergangenheit leuchtenden Sternbild auch die Orientierung in der Gegenwart verloren ginge.