NOLAN ANALOG - Werkschau Herbst 2023
Wer in seinem Leben schon einmal eine Matrioschka in Händen hielt, also eine jener russischen Puppen, in denen sich immer noch eine andere befindet, weiß, wie Nolans Kino funktioniert. Den Kopf kann man sich dennoch zerbrechen.
Auf der Reddit-Liste der unverständlichsten Filme des Regisseurs nimmt „Interstellar“ einen soliden Mittelplatz ein. Er birst vor technischem und philosophischem Ehrgeiz. Bei der Premiere ließ er 2014 viele Kritiker ratlos zurück, was die Neugierde des Publikums nicht schmälerte. Seine Geduld, sich auf fast drei Stunden Laufzeit einzulassen, war ebenso so enorm wie seine Bereitschaft zu staunen. Nolans erster waschechter Science-Fiction-Film avancierte zu einem seiner größten Kassenschlager.
Es geht immerhin ja auch um das Schicksal der Menschheit. In einer unbestimmten Zukunft kann diese sich die Raumfahrt nicht mehr leisten – die NASA existiert praktisch nicht mehr - und ist vollauf damit beschäftigt, den Bedarf an Nahrungsmitteln zu decken. Eine Art Morsecode aus der Zukunft ruft den ehemaligen Astronauten Cooper (Michael McConaughey) in den aktiven Dienst zurück, denn in einem Wurmloch in einer fernen Galaxie könnte die Lösung liegen, die den Fortbestand der Zivilisation sichert. Die Mysterien von Quantenphysik und Gravitation sind gleich halb so einschüchternd, wenn Michael Caine sie erklärt.
Wie alle Arbeiten Nolans verlangt „Interstellar“ nach der großen Leinwand. Nur dort entfalten die atemraubenden Panoramen, die Hoyte van Hoytema mit einer IMAX-Kamera gefilmt hat, ihre ganze Wirkung. Auch die Emotionen werden tiefer im Kinosaal. Denn zwischen den Maisfeldern der US-Provinz und der Unendlichkeit des Alls erzählt Nolan eigentlich eine intime Familiengeschichte. Das raffinierte Nebeneinander von verstreichender und aufgehobener Zeit gestattet es dem Regisseur zugleich, einem seiner absoluten Favoriten die Reverenz zu erweisen: Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“. Nolans Filme wissen, woher sie kommen - und was sie den Traditionen des Kinos hinzufügen können.
Text: Gerhard Midding
In Kooperation mit movie-hunters.com