Mit dem Vorspann geht das Rätselraten los: Was ist das für ein weißer Stoff, den die Kamera mit mikroskopischer Genauigkeit betrachtet. Ist es Blut, das ihn rot färbt? Und wer versucht, es auszuwaschen?
Auf halber Strecke glaubt man, die Antwort zu erfahren. Aber erst am Ende weiht Nolan uns ein, was es tatsächlich mit dem Blut auf der Hemdmanschette auf sich hat. „Insomnia“ ist der einzige Film seiner Laufbahn, für dessen Drehbuch der Regisseur nicht offiziell zeichnet. Aber das Script von Hillary Seitz war ganz nach seinem Gusto: eine schillernde Studie über die tiefe innere Verwandtschaft von Polizisten und Verbrechern. Wie präzise sich Will Dormer (Al Pacino) in die Gedankenwelt eines Mörders einfühlen kann, wird schon bei der Untersuchung der Leiche des jungen Mädchens klar, die den Cop aus Los Angeles nach Alaska geführt hat. Ein, zwei Indizien genügen ihm, um Motiv und Methode des Täters zu erkennen. Und er weiß, dass er wieder töten wird. Denn von der Erfahrung, ein Menschenleben zu nehmen, führt kein Weg zurück.
Dormer ist eine Legende, dessen Ermittlungstechniken sogar an Polizeischulen gelehrt werden. Die idealistische Polizistin Ellie (Hilary Swank) hat ihre Abschlussarbeit über ihn geschrieben. Nun assistiert sie ihm. Aber bald steht sie vor der Frage, ob sie auch gegen ihn ermitteln muss. Denn der Besuch im Land der Mitternachtssonne, die monatelang nicht untergeht, wird für Dormer zu einem Abstieg in die Finsternis.
In Alaska, heißt es, lebt man nur, weil man hier geboren wurde oder hierher geflüchtet ist. Daheim untersucht die Innere Abteilung einen Fall, an dem Will und sein Partner Hap (Martin Donovan) arbeiteten. Als Hap bei einem Schusswechsel im Nebel getötet wird, setzt der Mordverdächtige Walter Finch (Robin Willams) den Cop unter Druck. Der undurchschaubare Krimiautor scheint jeden seiner Schritte vorauszuahnen. Pacino und Williams spielen ihre Konfrontation als Zwiesprache zweier unerlöster Seelen. Wird Dormer die Kontrolle über die Situation zurückgewinnen? So viel sei verraten: Ein guter Cop kann nicht schlafen, weil ihm ein Teil des Puzzles fehlt - und ein schlechter, weil ihm sein Gewissen keine Ruhe lässt.
Text: Gerhard Midding
In Kooperation mit movie-hunters.com