
ZUR GESCHICHTE DES KINOS
KINO VON WELT. SEIT 1960
Die Geschichte vor der Geschichte
Mit dem 1960 am Parkring 12 errichteten Gartenbaukino existiert das letzte große Einsaalkino Wiens, ein strahlendes, selbstbewusstes Dokument einer längst vergessenen Kinokultur und heute mehr denn je eine der relevanten Kulturstätten dieser Stadt.
Doch die Geschichte des Gartenbaukinos beginnt bereits einige Jahrzehnte früher, genauer gesagt 1919, als im damaligen Palais der k.u.k. Gartenbaugesellschaft in einem der Ausstellungsräume ein Kinosaal eingerichtet wurde. Kino war damals in aller Munde, gleichzeitig ein für alle Bürgerinnen in allen Schichten zugängliches Massenphänomen, aber ebenso eine abendliche Aktivität für die feinere Gesellschaft. Die Errichtung und der Betrieb eines Kinos unterlag lange Zeit keinen Auflagen, entsprechend gestreut und unterschiedlich waren die Erscheinungsformen der damaligen Zeit: vom Hinterhof- und Kellerkino über Ladenkinos und Wanderkinos bis hin zur eleganten Adaptierung vormaliger Theater- und Varieté-Säle war alles möglich.
Das Palais der Gartenbaugesellschaft war ein eher unscheinbarer, wenngleich sehr ansehnlicher Ringstraßen-Bau im Stile der italienischen Renaissance, geplant und ausgeführt in den Jahren 1863/1864 vom Künstlerhaus-Architekten August Weber. Bedingt durch eine Auflage des Palais Coburg, das einen uneingeschränkten Blick auf den Stadtpark ermöglichen sollte (und, wie böse Zungen behaupten, auch den ungekehrten Blick vom Stadtpark auf die mondäne „Spargelburg“) war es nur einstöckig gebaut und ging eher in die Breite: links und rechts vom Haupttrakt erstreckten sich Nebentrakte, die für Ausstellungen, Bälle und Versammlungen genutzt wurden. Unter anderem, im Jahre 1911, fand hier die erste Wiener Kinoausstellung statt.
Einer dieser Trakte, der sogenannte Blumensaal, wurde für die Errichtung eines Kinosales genutzt. Das entsprechend der Eigentümerin benannte „Gartenbau Kino“ wurde am 19.10.1919 mit dem Film KOLUMBUS ENTDECKT AMERIKA eröffnet und war mit 639 Plätzen eines der ersten Großkinos der Stadt.
Mit der Übernahme des Kinos durch die Stadteigene KiBA (Kinobetriebsanstalt) wurde bereits der erste Schritt in Richtung „Gartenbaukino neu“ gesetzt. Der Architekt und Bauherr Robert Kotas, der bereits 1950 mit dem FORUM-Kino für einen der wesentlichen und größten Kinosäle der Stadt zeichnete, wurde 1954 mit der Umgestaltung des Kinosaals beauftragt, das Kino wurde – als erstes in Österreich – mit einer Breitbildleinwand im sogenannten Cinemascope-Format ausgestattet.
Um diese Zeit herum wurden erste konkrete Pläne für die Neugestaltung des Parkring 12 vorgestellt. Das Palais der Gartenbaugesellschaft war baufällig, der Rest des Platzes wenig ansehnlich mit durch einen Tennisplatz, einem Eislaufplatz und diversen Läden benutzt.
1959 wurde, nach vielen damals für Wien typischen städtbaulichen Querelen und Konflikten, der endgültige Bau (Architekten Kurt Schlauss und Erich Boltenstern) eingereicht und genehmigt, letzteres nicht zuletzt durch den Einsatz des damaligen Leiters des Planungsamtes der Stadt Wien, Roland Rainer. Der Grund wurde von der Österreichischen Gartenbaugesellschaft zum Teil an PORR vergeben, unter der schicksalhaften und man möchte fast sagen visionären Bedingung, im Neubau einen Kinosaal zu errichten.
Zu Errichtung und Betrieb des neuen Kinos wurde die KiBA verpflichtet, die wiederum ihren Haus- und Hofarchitekten Robert Kotas mit dem Entwurf beauftragte. So wurde das Gartenbaukino eines der wenigen Großkinos in Wien, die bereits von Anfang an als solches geplant wurden.
Das Kino eröffnete feierlich am 19.Dezember 1960 mit der glanzvollen Premiere von Stanley Kubrick’s SPARTACUS, in Anwesenheit von Hauptdarsteller Kirk Douglas und seiner Frau Anne Buydens (sowie, unbestätigten Aussagen zufolge, dem Regisseur selbst).

Premieren, Proteste, Politik
Das Gartenbaukino war von Anfang an als Flagschiff der KiBA geplant und seit jeher Ort großer Premieren. Viele der großen Hollywood-Spektakel der sechziger und siebziger Jahre kamen hier zur Uraufführung, oftmals von aufwändigen, thematisch kongruenten Inszenierungen vor und im Kino begleitet, z.B. Rennwagen bei der Premiere von Grand Prix, Ritter samt Pferden bei Camelot, eine lebensgroße Guillotine bei Cromwell, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Typisch waren auch eigens angefertigte, handgemalte Plakate im Foyerbereich und in den Vitrinen vor dem Kino, die viele Jahrzehnte ein wesentlicher Bestandteil der Ankündigungskultur waren.
Ein wesentlicher Teil der Kinokultur in den fünfziger bis siebziger Jahren war die Modenschau. Diese wurde in vier der großen KiBa-Kinos (Forum, Flotten, Kolosseum und Gartenbau) abgehalten, anfangs täglich und vor jeder Vorstellung, später nur noch fallweise und teils zur ungewollten Belustigung des Kinopublikums. Im Gartenbaukino war Robert Becherer von 1960 bis 1972 Conferencier der Modenschau, fünf Models (meist weiblich) trugen aktuelle Kollektionen der Wiener Modehäuser vor, Skimode, Pelze, Accessoires, sogar Hochzeitskleider waren zu sehen.
Zahllose Stars aus Funk, Film, Theater, Fernsehen, Politik, Society und der Hochkultur fanden sich im Laufe der Jahrzehnte im Gartenbaukino ein, nicht zuletzt bei der Viennale, die ab 1973 einen sporadischen und ab 1997 einen fixen und essentiellen Aufführungsort im Gartenbaukino fand und nach wie vor alle wesentlichen Galas, Sonderveranstaltungen und Premieren hier abhält.
Einige prominente Gäste und BesucherInnen des Gartenbaukinos: Herbert von Karajan, Bruce Willis, David Lynch, Lou Reed, Tilda Swinton, Otto Preminger, Robert Stolz, Jane Fonda, Fay Wray, Martin Scorsese, John Carpenter, Kirk Douglas, Lauren Bacall, Todd Haynes, Christoph Waltz, Tom Cruise u.v.a.m.
1998 war das Gartenbaukino erstmals von der Schliessung bedroht, die ersten Multiplexe hatten aufgesperrt und die Kinobesuche immer mehr in die Peripherie verlagert, die stadt-eigene Kiba (Kinobetriebsanstalt) stand vor der Auflösung und das Kino vor dem Bankrott. Im Herbst 1998 kam es im Anschluss an die Viennale zu einer spontanen Kundgebung im Gartenbaukino, ausgehend von der Plattform „Rettet das Gartenbau Kino“, der viele namhafte KünstlerInnen und Kulturschaffende der Stadt angehörten. Das Kino wurde über Nacht mit Filmen, Lesungen, Musik und Theater bespielt.

Kino von Welt, mehr denn je
Seit der Übernahme durch die Viennale im Jahre 2002 und der Installierung einer eigenen Betriebsgmbh namens ENTUZIASM hat sich das Gartenbaukino wieder als DAS wesentliche Premierenkino der Stadt etabliert, sich mit einem täglichen, im wesentlichen einem Arthouse-Kino angelehnten Mischprogramm aus anspruchsvollem Mainstream, Dokumentarfilmen und kleinen Entdeckungen selbstbewusst positioniert und sich als spannender Ort für Lesungen, Performances und Konzerte einen Namen gemacht.
Es ist und bleibt damit das letzte, große Kino von Welt in Wien.
(Text: Norman Shetler, Fiona Liewehr, Alexandra Maringer, Fredi Themel)
Zahlen, Daten, Fakten
1863-1864 August Weber errichtet für die k.k. Gartenbau Gesellschaft am Parkring ein Palais im Stil der italienischen Renaissance. Der einstöckige palastartige Bau war eines der ersten realisierten Gebäude der Wiener Ringstrasse.
1885-1888 August Weber war auch Erbauer des Wiener Künstlerhauses
1906 Otto Wagner entwirft einen Palast der Wiener Gartenbau Gesellschaft (nicht ausgeführt)
1913 Abtragung des linken Seitenflügels
1917 Adolf Loos entwirft ein Denkmal für Franz Josef I. (nicht ausgeführt)
1919 In die ehemaligen Blumensäle des Gebäudes, die von der k.k. Gartenbau Gesellschaft für Ausstellungen, Bälle und Konzerte genützt wurden, wird vom Verein „Gesellschaft vom Silbernen Kreuz“ unter Ludwig Domansky ein Kino gegründet, das nach der Eigentümerin „Gartenbau“ genannt wird.
1926 Marianne Domansky wird neue Besitzerin des Kinos
1930 Einbau der Tonanlage
1947 Übernahme der Kino-Konzession durch die KIBA (Kinobetriebsanstalt Ges.m.b.H)
1954 Robert Kotas erhält von der KIBA den Auftrag, das alte Gartenbaukino umzugestalten. Erstmals wird in Österreich eine Cinemascope Leinwand eingebaut.
1957 Erstmals konkrete Planungen für einen ursprünglich zehn-, dann zwanzig-geschossigen Hochhausneubau
1959 Einreichung des Hochhauses nach den Plänen von Erich Boltenstern und Kurt Schlauss
1960 Nach Abtragung der Seitentrakte des Palais fällt nun auch der Mitteltrakt des historistischen Palais.
Robert Kotas erhält von der KIBA den Auftrag, neben dem Gartenbau Hochhaus ein neues Kino einzubauen.
Das alte Gartenbaukino wird geschlossen.
19.12.1960 Eröffnung des neuen Gartenbaukinos. Es ist das erste Kino Wiens mit 70mm Leinwand. 900 Sitzplätze.
1961 Einbau einer stark gekrümmten Cinerama Leinwand im Format 2,59:1. Die Anzahl der Sitzplätze minimiert sich dadurch auf 840.
1962 Fertigstellung des Gartenbau Hochhauses
1963 Demontage der Cinerama Leinwand
1973 Tod von Robert Kotas
Nach der Schliessung des Forum Kinos 1972 wird das Gartenbaukino erstmals Schauplatz des 1960 gegründeten Filmfestivals Viennale.
1978 Einbau der ersten Dolby Stereo Anlage Österreichs.
1982 Die ursprüngliche Glühbirnenbeleuchtung wird durch Neonbeleuchtung ersetzt. Der Buffetbereich wird umgestaltet. Die Bestuhlung wird ausgetauscht und umfasst nunmehr 760 Sitzplätze.
1992 Entfernung der 19. Reihe, Reduzierung des Fassungsvermögens auf 736 Sitzplätze.
1994-1996 Die Mosaikfassade wird auf Grund von Wasserschäden durchgehend von einer Nirosta-Verkleidung verdeckt, der Eingangsbereich neu beleuchtet, die Anzeigetafel (“Fischerleuchte”) erneuert.
1998 Gründung der Plattform “Rettet das Gartenbaukino”, symbolische Besetzung des Kinos am letzten Tag der Viennale.
1999-2002 Übernahme des Kinos durch City Cinemas
2002 Die Viennale übernimmt mit Unterstützung der Stadt Wien das Kino, Gründung der ENTUZIASM Kinobetriebsgmbh, geführt von Petra Giesl/Eva Rotter (bis 2003), Ruth Goubran (bis 2008), Norman Shetler (seit 2008)
2010 Ausstellung und Feierlichkeiten zum 50. Jubiläum des Gartenbaukinos